Die moderne stationäre Epilepsiebehandlung setzt sich aus vielen einzelnen Bausteinen zusammen. Neben der unmittelbaren Behandlung der Krankheit selbst werden die Patienten und Patientinnen auch bei der Auseinandersetzung mit dem Epilepsiekranksein unterstützt. Dieser ganzheitliche Behandlungsansatz wird den Epilepsiepatienten in der unterschiedlichen Facetten ihrer Erkrankung gerecht.
Medikamentenbehandlung
Die wesentliche Säule der Behandlung bei immer wieder auftretenden Anfällen ist eine Behandlung mit Medikamenten (Antiepileptika). Diese beeinflussen die elektrische Erregbarkeit des Nervensystems, wirken aber nicht gegen die eigentliche Ursache der Epilepsie. Diese Beeinflussung der überschießenden Erregbarkeit bestimmter Nervenzellverbände sorgt dafür, dass sich epileptische Anfälle im Nervensystem nicht gut ausbreiten können und idealerweise vollständig unterdrückt werden. Das bedeutet auch, dass viele Betroffene ihr Medikament - wie ein Diabetiker das Insulin - ein Leben lang einnehmen müssen, um dauerhaft eine Anfallsfreiheit erreichen zu können.
Beispiel Brunnenbild:
Da die medikamentöse Beeinflussung des Nervensystems nicht nur gezielt auf epileptische Übererregbarkeit gerichtet werden kann, müssen mit der Behandlung potenziell auch Nebenwirkungen in Kauf genommen werden.
Zu den häufigen Nebenwirkungen zählen z.B. Schwindelgefühl und eine Beeinträchtigung geistiger Funktionen im Sinne von Müdigkeit. In vielen Fällen stellt sich der Körper in wenigen Wochen auf das Medikament ein, sodass zumindest einige Nebenwirkungen nachlassen oder ganz verschwinden. Daher ist es sinnvoll, zumindest eine gewisse Zeit die Nebenwirkungen zu tolerieren und erst dann mit dem Arzt zu entscheiden, ob gegebenenfalls ein Medikamentenwechsel oder eine Dosisreduktion notwendig ist.
Leider ist es nicht möglich vorherzusagen, welche Patient welches Medikament gut verträgt und davon profitiert. Je nach Anfallsart und Schwere der Anfälle müssen Arzt und Patient sich für ein Medikament entscheiden. Dieses wird schrittweise so lange in der Dosis erhöht, bis eine ausreichende Wirkung eintritt, ohne dass dauerhaft beeinträchtigende Nebenwirkungen auftreten.
Entscheidend ist, dass die Medikamente regelmäßig in der empfohlenen Dosis genommen werden. Nur so kann die Anfallsbereitschaft erfolgreich gesenkt werden.
Um bei unserem Brunnenbild zu bleiben, erhöhen die Medikamente den Beckenrand. Die Anfallsbereitschaft wird reduziert, sodass die frühere anfallsauslösende Faktoren nicht mehr zu einem Anfall führen können.
Für die Dosisfindung gibt es für die meisten Medikamente keine festgelegten Angaben, da es, um im Brunnenbild zu bleiben, bei manchen Menschen ausreicht, den Beckenrand nur leicht zu erhöhen, aber bei anderen Menschen trotz höchster Dosierungen keine Anfallsfreiheit zu erreichen ist.
Der Grundsatz ist: soviel wie nötig und so wenig wie möglich, da sowohl die erwünschten Wirkungen (Kontrolle der Anfälle) als auch die unerwünschten Wirkungen (z.B. Müdigkeit, Schwindelgefühl und ähnliches) von der Dosis abhängen. Eine höhere Dosis würde häufig zwar besserwirken, aber nur zum Preis von vermehrten unerwünschten Wirkungen.
Die meisten Patienten kommen mit der regelmäßigen Einnahme eines Medikamentes sehr gut zurecht und vertragen diese auch gut. Geachtet werden muss von ärztlicher Seite auf mögliche seltene Komplikationen, wie etwa eine Schädigung der Leber oder eine Verschlechterung des Blutbildes.
Epileptologische Basisdiagnostik
Bei unklaren oder erstmals aufgetretenen Anfällen bieten wir die epileptologische Basisdiagnostik an. Die Diagnostik dauert vier Tage und drei Nächte. Während dieser Zeit werden beispielsweise ein tragbares Langzeit-EEG angelegt und mit Video-Monitoring eine Tag- und Nachtüberwachung gewährleistet. Gegebenenfalls sind noch weitere Untersuchungen notwendig, wie etwa eine Kernspintomographie.
Aktivierende Krankenpflege
Vielen Menschen mit Epilepsie sieht man ihre Krankheit nicht an. Von den Anfällen abgesehen haben sie keine Krankheitssymptome und sind nicht in besonderer Weise "pflegebedürftig". Bei Epilepsiebetroffenen tritt die klassische Pflege in Hintergrund. Aufgabe der Pflege ist dann vielmehr, die Betroffenen bei Alltagsaktivitäten zu unterstützen, insbesondere dann, wenn ihnen die nötigen Kräfte, Kenntnisse und Fähigkeiten fehlen. Dabei werden die persönlichen Wünsche, Würde und Lernfähigkeit der Patienten stets berücksichtigt; zusätzlich versuchen wir, ihnen gesundheitsfördernde Lebensgewohnheiten bewusst zu machen. Von besonderer Bedeutung ist, dass sich Betroffene mit „ihrer“ Epilepsie auseinandersetzen. Denn nur Patienten und Patientinnen, die ihre Erkrankung gut bewältigen und kennen, können selber zu einer erfolgreichen Behandlung beitragen.
Manche unserer Patienten sind nach einer Erkrankung des Gehirns, nach einem Unfall oder sonstigen Ereignis, das zu einer Gehirnschädigung geführt hat, an Epilepsie erkrankt und haben darüber hinaus noch andere Behinderungen wie zum Beispiel Lähmungen oder kognitive Einschränkungen. In Zusammenarbeit mit unseren Mitarbeitenden der Physiotherapie und Ergotherapie unterstützen wir diese Patienten in den Belangen des alltäglichen Lebens, die sie nicht oder nicht mehr bewältigen können.
Ergotherapie und Snoezeln
Ergotherapie ist Bestandteil der komplexen Epilepsiebehandlung. In Gruppen und Einzeltherapien können im gestalterischen Prozess Erfahrungen gemacht werden. Dabei stehen verschiedenste Materialien zur Verfügung, wie Ton, Speckstein, Holz, Peddigrohr, Bildnerisches Gestalten, Collagetechniken.
Bei der Ergotherapie lassen sich Konzentrationsfähigkeit, Merkfähigkeit und Auffassungsgabe beurteilen. Patienten und Patientinnen, die aufgrund ihrer Krankheit Schwierigkeiten haben, auf andere Menschen zuzugehen, können durch gezielte Ergotherapie an Selbstsicherheit gewinnen. Auch wenn es darum geht, die berufliche Belastbarkeit besser abschätzen zu können, kann die Ergotherapie wichtige Hinweise erbringen. Sie ist also nicht nur Therapie, sondern auch Diagnostik.
Insbesondere für epilepsiekranke Patienten und Patientinnen mit zusätzlichen Behinderungen, die man in Gesprächen nur schwer erreichen kann, und die zu einer inneren Anspannung neigen, haben wir einen Snoezelnraum eingerichtet. Dies ist ein speziell gestalteter Raum, in dem über Licht, Klang, Aromen und Musik Sinnesempfindungen ausgelöst werden. Diese haben eine positive stimulierende Wirkung auf die Psyche und dienen der
- Wahrnehmungsförderung
- Förderung von Ruhe und Entspannung
- Förderung von Phantasie und Kreativität
- Interaktionsförderung
- Gedächtnistraining und Konzentrationsförderung
Psychotherapeutisch orientierte Gesprächsgruppen
Gesprächsgruppen haben das Ziel, dass sich die Betroffenen mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen, diese besser verstehen und im Alltag zurechtkommen. Viele Menschen mit Epilepsie ziehen sich mehr und mehr aus dem alltäglichen Leben zurück, weil sie Angst vor Anfällen haben. Oder weil sie glauben, dass die Menschen in ihrer Umgebung mit Unverständnis und Vorurteilen reagieren. Daher kommt es oft zum sozialen Rückzug und es können sich sogar Depressionen und Angsterkrankungen entwickeln. In der psychotherapeutischen Gruppe werden solche Mechanismen aufgedeckt und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Vermittelte Methoden zur Stress- und Angstreduktion dienen ebenfalls dazu, dass Betroffene mit Anfällen besser umgehen können.
Schulungsgruppe
Patienten und Patientinnen erhalten während des stationären Aufenthalts grundlegende Informationen und Hilfen im Umgang mit ihrer Erkrankung. Auch sozialrechtliche Informationen zu Fragen wie Schwerbehinderung, Führerschein, Beruf und Rehabilitation werden beantwortet. Ziel ist, dass Betroffene ihre Interessen und Rechte und nicht zuletzt ihre Chancen aktiv wahrnehmen können. Diese Informationsgruppen greifen Teile des Modularen Schulungsprogrammes Epilepsie (MOSES) auf.
Eine Schulungsgruppe mit allen 10 Schulungsmodulen findet ein- bis zweimal pro Jahr statt. Den nächsten Termin erfahren Sie bei Angela Giray, Telefon 0751 7601-2580 oder unter Aktuelles.
Weitere Informationen zum Schulungsprogramm Moses finden Sie auch unter: www.moses-schulung.de
Computergestütztes kognitives Training
Eine weitere unterstützende Therapie epilepsiekranker Menschen ist ein computergestütztes kognitives Training.
Kognitionen Denk- und Wahrnehmungsvorgänge und bestimmen, wie wir Informationen aufnehmen, interpretieren und verarbeiten. Sie legen das Muster unseres Verhaltens und Erlebens fest und haben somit erheblichen Einfluss auf die Art und Weise, wie wir unseren Alltag und unser Leben generell gestalten.
Mit den Trainingsverfahren soll eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit für Menschen mit Epilepsie erreicht werden. Bei regelmäßiger und kontinuierlicher Durchführung des computergestützten kognitiven Trainings kann sich die kognitive Leistungsfähigkeit in einem gewissen Umfang verbessern.
Sozialberatung
Patienten mit Epilepsie sehen sich häufig mit vielfältigen psychosozialen Schwierigkeiten konfrontiert. Sie spüren die Auswirkungen der Erkrankung in jegliche Lebensbereiche, Familie, Beruf, Freizeit und Wohnen. Die Epilepsieerkrankung provoziert nicht selten Benachteiligungen, Vorurteile und psychische Belastungen. Unser Anliegen ist es, Patienten und deren Angehörige zu informieren, zu beraten und zu unterstützen - auch im Hinblick auf die Bewältigung aktueller Krisensituationen. Dabei versuchen wir immer, den Betroffenen im sozialen Kontext zu sehen und die Verbesserung der Lebensqualität nicht aus den Augen zu verlieren.
Wir bieten Patienten während des stationären Aufenthalts grundlegende Informationen und Hilfen im Umgang mit der Erkrankung, ebenso sozialrechtliche Informationen zu Fragen wie Schwerbehinderung, Führerschein, Beruf und Rehabilitation. Ziel ist, dass Betroffene ihre Interessen und Rechte und nicht zuletzt ihre Chancen aktiv wahrnehmen. Gemeinsam mit Patienten und Patientinnen sind wir bestrebt, individuelle Wege und Lösungen bei Problemstellungen zu erarbeiten. Neben der Einzelfallberatung ergänzt eine spezielle Informationsgruppe zur Krankheitsbewältigung das Therapieangebot der Klinik.
Bei Bedarf unterstützen wir Patienten und Patientinnen auch nach der Entlassung aus unserer klinischen Behandlung. Darüber hinaus stehen wir weiteren Epilepsieinteressierten gerne zur Verfügung. Falls Sie weitere Informationen wünschen, wenden Sie sich bitte an Angela Giray, Telefon 0751 7601-2580 oder nehmen Sie über unser Kontaktformular mit uns Kontakt auf. Beratungszeiten bitte nach telefonischer Vereinbarung
Krankengymnastik / Physiotherapie
Menschen mit Epilepsie haben nicht selten zusätzliche Erkrankungen des Gehirns, manchmal mit Lähmungen oder Gleichgewichtsstörungen. Eine weitere Patientengruppe in der Epileptologie sind Menschen mit zusätzlichen körperlichen oder geistigen Behinderungen. Für diese Menschen bieten wir ein individuell abgestimmtes physio-therapeutisches Angebot. Dafür stehen Gruppen- und Einzeltermine zur Verfügung. Bei Bedarf kommen spezielle Therapieformen wie zum Beispiel die Bobath-Therapie zum Einsatz.
Auch für Menschen ohne spezifische körperliche Einschränkungen ist die Physiotherapie in der Epilepsiebehandlung von Bedeutung. Viele Antiepileptika können mit Nebenwirkung mit Beeinträchtigungen des Gleichgewichtssinns verbunden sein. Die Physiotherapie erleichtert das frühzeitige Erkennen derartiger Beeinträchtigungen. Auch zur Förderung der Krankheitsverarbeitung insgesamt ist eine allgemeine körperliche Aktivierung hilfreich. Gerade Menschen mit Epilepsie sind häufig unsicher bezüglich ihrer körperlichen Belastbarkeit. Unter fachkundiger Anleitung können sie an eine aktive verantwortungsvolle körperliche Betätigung herangeführt werden
Beratung Angehöriger
Vielfach sind Angehörigen von Epilepsiekranken durch die Krankheit verunsichert. Sie fragen sich, wie man als Angehöriger mit der Erkrankung umzugehen hat und was im Verlauf der Krankheit zu erwarten ist. Sofern der Patient selbst einverstanden ist, sind wir gern zu Beratungsgesprächen bereit. In der Vergangenheit hat es sich bewährt, dass Angehörige zu den einmal wöchentlich stattfindenden Chefvisiten dazu kommen. Zusätzlich zu diesen Gesprächsangeboten ist unsere Sozialarbeiterin parallel zur Chefvisite auf der Station anzutreffen, um bei Bedarf in sozialen Belangen zu beraten.
Seelsorge
Die Auseinandersetzung mit dem Kranksein hat für den einzelnen Menschen ganz unterschiedliche Facetten, denen es gerecht zu werden gilt. Für manche ist es eine Hilfe, einen seelsorgerlichen Ansprechpartner zu haben. Am Standort Weissenau gibt es sowohl einen katholischen als auch einen evangelischen Krankenhausseelsorger, mit denen Termine zu einem persönlichen Gespräch vereinbart werden können.
Der evangelische Pfarrer Hans-Dieter Schäfer gestaltet auf beiden Stationen einmal in der Woche eine kurze Besinnung zum Tag mit Gesprächsgruppe.
Kontakt
Hans-Dieter Schäfer, Evangelischer Pfarrer
Tel.: +49 (0) 751 7601-2469
Rainer Deschler, Katholischer Pastoralreferent
Tel.: +49 (0) 751 7601-2591